Handle danach und du wirst leben!

15. Sonntag im Jahreskreis – C

In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? (Lk 10,25).

In der Frage des Schriftgelehrten geht es um das ewige Leben, es ist die Frage nach der Erlösung, also die einzige wirklich ernste Frage überhaupt. Aber es ist nicht leicht, sie richtig zu stellen. Lukas sagt sogar, die Frage sei gestellt worden, „um Jesus auf die Probe zu stellen“. Es war also keine echte Frage, sondern eine Provokation. [*]

Und doch ist diese Frage in sich – wie bereits erwähnt – absolut ernst: Es ist dieselbe Frage, die der reiche Jüngling stellen wird (Lk 18,18 ff). Und Jesu Antwort entspricht voll und ganz der Antwort an den reichen Jüngling:

Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?

Jesus tut nichts anderes, als ihn daran zu erinnern, dass Gottes Gebot eindeutig und klar ist und dass er es bereits kennt. Und in der Tat: der provozierende Schriftgelehrte antwortet richtig:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.

Jesus fügt dem weder seine persönliche Meinung noch eine Bemerkung zum offensichtlichen Willens Gottes hinzu. Das Gebot Gottes ist nicht verborgen: Wie es in der Ersten Lesung heißt (Dtn 30,10-14):

Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.

Doch wenn du, anstatt es in die Tat umzusetzen, weiterhin Fragen stellst, dann zeigst du, dass du dich dem Gehorsam entziehen willst und vor dem Gebot Gottes zu fliehen versuchst. Es wird keine andere mögliche Anweisung gegeben als:

Handle danach und du wirst leben!

Der Schriftgelehrte bleibt jedoch bei der Polemik und wirft dem Gebot Gottes diesmal vor, nicht klar zu sein:

Und wer ist mein Nächster?

Ist es mein leiblicher Verwandter, mein Landsmann, mein Bruder im Glauben, mein Freund, ein Fremder…? Wenn man anfängt, zu diskutieren, kann man mit gleichem Recht was auch immer behaupten oder verneinen. Und normalerweise behaupten wir, was uns besser passt (oder uns nützt), und verneinen, was uns stört. Die Frage endet in Uneinigkeit und im Ungehorsam gegenüber Gott.

Die erste Frage des Schriftgelehrten war bereits eine Täuschung: Was muss ich tun? Du weißt es bereits: Befolge das Gebot, das du kennst! Du sollst nicht fragen, sondern handeln. Die Frage: Und wer ist mein Nächster? ist die letzte Ausflucht, mit der der Ungehorsam sich selbst rechtfertigt. Die ganze Geschichte vom barmherzigen Samariter ist nichts anderes als die Ablehnung und Demontage dieser Frage.

Versetze dich ein bisschen in die Lage des unglücklichen Mannes, der von Räubern verletzt und sterbend am Straßenrand zurückgelassen wurde. Zwei sehr reine Israeliten kommen nacheinander vorbei: ein Priester und ein Levit. Aber keine Hilfe. Dann kommt ein Samariter vorbei, ein Fremder, der für die Juden exkommuniziert und unrein ist; einer, der noch mehr verabscheut wird als ein Heide. Und gerade er ist es, der Erbarmen hat und Hilfe leistet. Ich möchte wissen, ob du in diesem Moment deine ethnisch-religiösen Vorurteile ins Spiel bringen würdest und dich weigern würdest, dich von diesem Samariter mit seinen unreinen Händen berühren zu lassen, oder ob du ihn nicht dafür segnen würdest, dass er stehen geblieben ist, dass er die Barriere, die euch trennt, nicht beachtet hat, dass er dich als seinen Nächsten betrachtet hat, einfach weil du ein Mensch bist!

Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?

Die Frage lautet nicht, wer sich als „Nächster“ verhalten hat (das wäre zudem banal); sie entspricht aber der Ausgangsfrage „Wer ist mein Nächster“, jedoch mit der Einladung eine Antwort im Licht der soeben gehörten Geschichte zu geben und d.h. zu erkennen, dass es unsinnig ist, den Begriff „Nächster“ nur auf die Freunde zu beschränken.

Beachten wir: „Nächster“ hat mit „nahe“ zu tun. Wenn du mir nahe bist, dann bedeutet das auch notwendigerweise, dass ich dir nahe bin

Also – so scheint Jesus nicht ohne einen Hauch von gutmütiger Ironie zu fragen – wer ist also der Nächste? Wer war der Nächste für diesen verletzten Mann? Willst du nach dem Hören dieser Geschichte immer noch eine restriktive Definition geben, die den Fremden, den Feind ausschließt? Würdest du lieber behaupten, der Samariter hätte den Verletzten dort sterben lassen sollen, weil er einem feindlichen Volk angehörte? 

Aufgrund des wechselseitigen Charakters des Begriffs „Nächster“, folgt, dass auch du den Menschen an sich als deinen Nächsten betrachten musst. Das wird in den Worten am Ende deutlich: 

Dann geh und handle du genauso!

 🇮🇹


[*] Vgl. D. BonhoefferNachfolge.

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